Entwicklung der App „Hürdenlos-Navi“

April 23, 2021

Dieser Beitrag stellt das Projekt „Routenplanung für Barrierefreiheit“ der Stadt Heidelberg vor, die im Rahmen der Initiative „Städte und Gemeinden 4.0 – Future Communities“ des Ministerium für Inneres, Digitalisierung und Migration Baden-Württemberg mit Landesmitteln gefördert wurde. Match Rider hat eine Ausschreibung zur Entwicklung einer App für die hürdenlose Navigation von Menschen mit Mobilitätseinschränkungen für dieses Projekt gewonnen.

Bedarf

Das Thema „Barrierefreiheit“ wird immer wichtiger für eine alternde Gesellschaft. Der Demographische Wandel sorgt für mehr Menschen, die auf Hilfsmittel wie beispielswiese Rollatoren angewiesen sind. Aber auch Menschen mit Behinderungen benötigen maßgeblich eine barrierefrei Umwelt, um sicher von A nach B zu kommen. Darüber hinaus profitieren Menschen mit Kinderwägen, schweren und sperrigem Gepäck oder aber Personen mit temporären gesundheitlichen Beeinträchtigungen.

Herausforderungen

1. Datenbasis

Daten, auch der Rohstoff des 21. Jahrhunderts für Innovationen, liegen nicht oder nicht in der notwendigen Granularität vor, um ein genaues Routing zu ermöglichen. Als Beispiel seien bekannte Kartendienste genannt, die bspw. ein Routing über alternative Wege zu einem Routing für Fahrradfahrer anbieten, aber im Zweifel noch vereinzelt Fehler aufweisen, da nicht alle Merkmale eines Weges bekannt sind.

In dem Projekt wurden daher Daten extra mit Vermessungsfahrzeugen, ähnlich wie sie von Google für den Dienst Street View eingesetzt werden, durch einen Dienstleister erhoben und für die weitere Nutzung aufbereitet. Diese Daten wurden mit Daten der Stadt Heidelberg, bspw. Daten des Tiefbauamts, angereichert.

2.Datenintegration

Datensilos als solches sind wenig erbaulich, sofern nicht die Möglichkeit besteht, diese Silos mit weiteren Datenbeständen zu verknüpfen. Die Herausforderung besteht darin, die Kartengrundlage, hier OpenStreetMap (OSM) – ein Kartendienst der von den Eingaben seiner Nutzer, ähnlich wie Wikipedia, lebt – mit den erhobenen Daten der Vermessungsfahrzeuge und den existierenden Daten der Stadt Heidelberg in Einklang zu bringen. Hierbei sind auch die „Spielregeln“ der Community von OSM zu beachten. Es gilt natürlich tunlichst zu vermeiden, mühsam durch Menschen erhobene und validierte Kartendaten mit ggf. fehlerhaften Daten zu überschreiben. Auch müssen einzelne Wegabschnitte gleiche Geometrien (z. B. exakte Längen) aufweisen, um mit weiteren Merkmalen angereichert werden zu können.

3. Wegmerkmale

Welche Beschaffenheiten sind für eine hürdenlose Navigation relevant? Bei OSM sind eine Fülle an Eigenschaften theoretisch vorgesehen, deren praktische Relevanz es aber für die App zu bewerten gilt.

Im Projekt hat man sich auf die Oberflächenbeschaffenheit (bspw. Kopfsteinpflaster vs. Asphaltbelag), auf Bordsteinkantenhöhen, auf Gefälle sowie die Gehwegbreite verständigt.

4. Routingalgorithmus

In Abhängigkeit der zu berücksichtigen Wegpunkte kann ein Routing insbesondere bei langen Strecken sehr komplex werden. Sollen darüber hinaus weit mehr Bedingungen für das Routing gelten, wie bspw. für die App „Hürdenlose Navigation“, so bedarf es spezieller Algorithmen, die auch so performant sind, dass Sie in einer App umgehend valide Ergebnisse liefern.

Dieser Service wurde durch die Universität Heidelberg und dem Team GIScience als Projektpartner mit dem sogenannten openrouteservice erbracht.

Das Ergebnis

Das Ergebnis kann sich gegenüber bisherigen Ansätzen sehen lassen. Die App ist zuverlässig in der Lage durch die Heidelberger Altstadt und Bergheim zu navigieren. Vorgestellt wurde die App im Oktober 2019 in Heidelberg. Gäste waren unter anderem der Bundesbehindertenbeauftragte, Jürgen Dusel, sowie die Landesbehindertenbeauftragte des Landes Baden-Württemberg, Stephanie Aeffner.

Oberbürgermeister der Stadt Heidelberg, Professor Eckart Würzner, beschreibt den typischen Use Case in einem Interview für RON TV bei einer Vorstellung der App wie folgt: „Man gibt es ein wie bei einem Navi. Ich bin am Bismarckplatz, würde gerne zum Rathaus gehen. Welchen Weg muss ich gehen? Es ist manchmal nicht der kürzeste Weg, der Beste, sondern es ist der Weg, der sozusagen mit einem Bodenbelag versehen ist, der gut geeignet ist für Rollstuhlfahrer oder wenn ich mit dem Rollator unterwegs bin.“

Wird bspw. im Nutzermenü das Merkmal Bordsteinkante von 10 cm auf ebenerdig reduziert, so kann das einen längeren Weg nach sich ziehen, weil auf dem bisher gerouteten kürzesten Weg sich hohe Bordsteinkanten befinden, die überwunden werden müssen. Ähnlich verhält sich das Routing, wenn es von einem flachen Oberflächenbelag wie bspw. Asphalt, auf eine „ruppige“ Oberfläche wie Kopfsteinpflaster geändert wird. Der Weg wird im Zweifel länger. Und gerade in der Heidelberger Altstadt gibt es zahlreiche Straßen mit widerstandsstarken Beschaffenheiten.

Die App im Branding der Stadt Heidelberg berücksichtigt neben der merkmalsscharfen Navigation durch die Altstadt und Bergheim Anforderungen an eine intuitive Nutzung. Aber auch Eingabefelder sowie -bereiche sind hinreichend groß dargestellt, sodass Menschen mit visuellen Einschränkungen die App gut bedienen können. Die in den Betriebssystemen Android und iOS vorgesehenen Assistenzsysteme wie bspw. die Lupenfunktion funktionieren selbstverständlich auch. Ferner gibt es neben der deutschsprachigen auch eine englischsprachige Version der App – Heidelberg ist ja als Tourismusmagnet bekannt, sodass auch ausländische Gäste die App vor Ort nutzen können.

Ein wesentlicher Clou ist darüber hinaus, dass der Quellcode für die App als Open Source auf GitHub veröffentlicht wurde. Open Source bedeutet, dass der Quelltext – der Code – öffentlich und von Dritten eingesehen, geändert und genutzt werden kann. Hier geht Match Rider ganz neue Wege. Die Geschäftsleitung glaubt fest an die Innovationskraft die durch offenen Quellcode, aber auch offene Daten – also solche Daten die maschinenlesbar und somit einfach in anderen Anwendungen integrierbar sind, entsteht. Hier kann die Stadt Heidelberg zukünftig auch eine Vorreiterrolle übernehmen, indem beispielsweise die Daten des Tiefbauamts, die in die App einfließen, öffentlich zugänglich gemacht werden.

Wehrmutstropfen ist, dass die Vermessungsdaten bisher nur für die Heidelberger Altstadt sowie den Stadtteil Bergheim in der App integriert sind. Aber Abhilfe naht.

Ausblick

Weitere Vermessungsdaten für die gesamte Stadt Heidelberg wurden bereits erhoben und müssen nun noch für die weitere Integration in die App aufbereitet, und der Prozess der Integration der Daten in OSM mit der Community abgestimmt werden. Sobald dies der Fall ist, wird die Stadt Heidelberg ein Leuchtturmprojekt sondergleichen initiiert haben, da ein Routing für mobilitätseingeschränkte Menschen in dieser Zuverlässigkeit unseres Wissens nach noch nicht realisiert wurde.

Ferner ist bereits eine Software in Arbeit, die die Nutzung der App „Hürdenlose-Navigation“ für Menschen mit kognitiven und visuellen Einschränkungen u.a. mittels einfacher Sprache als Webanwendung erläutert. Unter dem Namen „Mobil-AtLaS“ wird dieses Projekt vom Ministerium für Soziales und Integration Baden-Württemberg gefördert und 2019 im Rahmen des Programms „Impulse Inklusion“ umgesetzt.

Last but not least: Ein enormes Ärgernis insbesondere für Menschen im Rollstuhl stellen temporäre Hindernisse da. Der gestern nicht dagewesene Blumenkübel vor einem Geschäft, Falschparker und insbesondere Baustellen können die Reichweite eines Rollstuhlfahrers massiv einschränken. Muskelkraft und Akkuenergie sind endlich. Jeder Umweg schränkt die persönliche Mobilität als Grundbedürfnis und damit auch die Freiheit jedes Einzelnen ein. Es bleibt daher zu hoffen, dass ein solches Projekt weiterhin finanziell unterstützt wird, um die Funktionalität der App und auch das Einsatzgebiet der App kontinuierlich zu verbessern und zu erweitern.

Patrick Alberti: Behindertenbeauftragter des Rhein-Neckar-Kreis fasst es in einem Interview für RON TV zusammen: „Die App, die ist grandios!“

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